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Maurice Bavaud (1916-1941)

Hitler-Attentäter

Porträt von Maurice BavaudIn der Zeit der Geschichtsbewältigung, wo Gegner des Hitlerregimes, die in Ungnade fielen, wieder rehabilitiert werden, wurde die Person von Maurice Bavaud lange Zeit übersehen.

Maurice Bavaud war ein Theologiestudent, der 1938 versuchte, Hitler zu erschiessen. Für diese Tat wurde er am 14.5.1941 in Berlin-Plötzensee durch die Guillotine enthauptet.

Es begann am 9. Oktober 1938, als Maurice Bavaud den Zug nach Grossdeutschland nahm, ohne seinen Vater davon in Kenntnis zu setzen. Seine Spur verlor sich und der Vater schrieb am 16. Januar 1939 einen ersten von unzähligen weiteren Briefen an das Politische Departement im Bundeshaus Bern:

"Herr Abteilungsleiter, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die notwendigen Erkundigungen einleiten könnten meinen Sohn Bavaud Maurice betreffend, abgereist nach Deutschland am 9. Oktober 1938. Er ist jetzt 23 Jahre alt. Er studierte im Kollegium St. Ilan in der Bretagne, wollte aber im vergangenen Sommer nicht mehr dorthin zurückkehren, um sein theologisches Studium fortzusetzen. Er verreiste, ohne uns zu orientieren und ohne unsere Zustimmung. Ich selber wünschte, dass er zuerst seinen Militärdienst absolviere, bevor er ins Ausland geht.
Die letzte Nachricht erhielten wir aus Baden-Baden von der Familie Gutterer, die mit uns verwandt ist. Seither fehlt jede Spur. Ergänzend sei beigefügt, dass seine politische Haltung nichts mit derjenigen eines revolutionären Sozialisten oder Kommunisten zu tun hat. Vor seinem Studium machte er eine Lehre als technischer Zeichner in Neuenburg. ¨
Ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr Abteilungsleiter, wenn Sie über Ihre Dienststellen im Ausland Informationen über den Aufenthalt und die Beschäftigung meines Sohnes einziehen können".

Zum Zeitpunkt des Briefes des Vater war Maurice Bavaud bereits inhaftiert. Am 9. November 1938 in München, wenige Stunden vor dem grossen Judenpogrom, das von den Nazis als "Reichskristallnacht" bezeichnet wurde. Hitler marschierte an der Spitze seines Regimes zur Feldherrnhalle. Unter den Zuschauern befand sich auch der 22jährige Theologiestudent Maurice Bavaud aus Neuenburg/Schweiz. Ausgerüstet mit einer Pistole, die er in seiner Manteltasche verbarg, wartete er auf der Ehrentribüne bei der Heiliggeistkirche. Als Hitler an ihm vorbeimarschierte, versuchte er die Pistole zu ziehen, wurde jedoch durch die umstehenden Menschen behindert, die ihrerseits ihre Arme zum Hitlergruss ausstreckten. Die Aktion wäre ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen, da die Distanz zu Hitler viel zu gross war, um einen tödlichen Schuss abgeben zu können. Nach diesem gescheiterten Vorhaben beobachtete Bavaud in den nächsten Tagen die Schritte von Adolf Hitler. Doch er kommt nicht an ihn heran.
Schliesslich stieg Bavaud in einen Zug nach Paris, wurde jedoch während der Fahrt festgenommen, da er keinen Fahrschein besass. Dabei fand man bei ihm nebst einer Pistole merkwürdige Empfehlungsschreiben, und so übergab man ihn der Gestapo. Die Gestapo vermutete hinter Bavaud keinen Einzeltäter, sondern nahm an, dass es sich um einen Kreis von Verschwörern handeln musste.
Zu jener Zeit suchte Hitler einen Vorwand, um gegen die katholische Kirche härter vorzugehen. Deshalb zogen sich die Verhandlungen gegen den Theologiestudenten über 30 Monate hinweg.
Unter Folter sagte Bavaud widersprüchlich aus, u.a. liess er verlauten, dass Marcel Gerbohay - ein Studienkollege von St. Ilan - der Auftraggeber sei. Vor Gericht sagte er jedoch aus, dass es alleine sein Entschluss gewesen sei, auf Hitler ein Attentat zu verüben. Gerbohay wurde im Januar 1942 in der Bretagne gefasst und nach einem Aufenthalt im Konzentrationslager Sachsenhausen schliesslich in Berlin-Plötzensee am 9.4.1943 hingerichtet.

In einem Brief vom 5. September 1939 schrieb Maurice Bavauds Vater besorgt, dass sich die Familie Sorgen um den geistigen und körperlichen Zustand von Maurice Bavaud machte, da er sich in seinem letzten Schreiben an die Familie in Versen äusserte. Die Familie fürchtete das Schlimmste.

Schliesslich kam das Todesurteil gegen Maurice Bavaud. Der Gesandte Frölicher teilte der Abteilung für Auswertiges in Bern in einem streng geheim klassierten Dokument über das Urteil in Kenntnis. Die Politiker in Bern entschieden daraufhin, die Attentatplanung von Bavaud nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen und auch Bavauds Familie nicht zu informieren, da sonst eine Geheimhaltung nicht mehr möglich sei.
 

Bavauds Familie beschrieb Maurice, der ein Bewunderer von Gandhi war, als ruhigen, besonnenen Pazifisten, suchend, sehr belesen und intelligent. Ein Träumer und Einzelgänger, der sich auf der Suche nach Orientierung sowohl im rechten wie im linken politischen Spektrum informierte.

Als man Maurice Bavaud zu seinem Motiv befragte, antwortete er, dass er die Persönlichkeit des deutschen Führers für eine Gefahr für die Menschheit und die Unabhängigkeit der Schweiz halte. Ein weiteres zentrales Motiv war die Unterdrückung der katholischen Organisationen in Deutschland.

Aus den Akten geht hervor, dass der damalige Schweizer Gesandte in Berlin, Hans Frölicher, keinerlei Interesse hatte, für die Freilassung von Bavaud zu plädieren, er verurteile Bavauds Versuch als verabscheuungswürdig. Auch die Berner Regierung entschloss sich, Bavaud der Staatsräson zu opfern.

1955, vierzehn Jahre nach dessen Hinrichtung, wurde Bavaud im Nachkriegsdeutschland in einem von der Schweiz verlangten Revisionsprozess nochmals zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, weil das Leben Hitlers offenbar immer noch schützenswert schien und Bavauds Tat weiterhin als kriminell zu betrachten war. Dieses Urteil wurde 1956 in einer zweiten Revision wieder aufgehoben, die Familie von Bavaud erhielt eine Entschädigung von 40'000 Mark.

1998 wurde der Fall Maurice Bavaud wieder zum Schweizer Politikum. Es ging darum, den Namen von Bavaud endlich reinzuwaschen und ihn von offizieller Seite zu rehabilitieren. Schliesslich rang sich der Bundesrat zur folgenden Aussage durch:
"Die Schweiz, unter Einschluss namentlich der Gesandtschaft in Berlin, habe sich im Zweiten Weltkrieg nicht genügend für den Neuenburger Hitler-Attentäter Maurice Bavaud eingesetzt und ihre Verantwortung nur unzureichend wahrgenommen."
Zudem wurde Maurice Bavauds Handlungsweise in ein anderes Licht gerückt:
"Maurice Bavaud hat möglicherweise geahnt, welches Verhängnis Hitler über die Welt und namentlich Europa bringen würde. Er gehörte zum Kreis jener Personen, welche - leider vergeblich - versucht haben, dieses Unheil zu verhindern. Dafür verdient er Anerkennung und einen Platz in unserem Gedächtnis.

Eine halbherzige Entschuldigung, die der Tatsache, dass die Regierung Maurice Bavaud gänzlich im Stich gelassen hatte, kaum Rechnung trägt.

Untenstehend sind zwei interessante Briefe abgebildet, geschrieben von Maurice Bavaud während seiner Gefangenschaft in Plötzensee ein Jahr bzw. kurz vor seiner Hinrichtung. Die Briefe gewähren einen eindrücklichen Einblick in die Psyche von Bavaud.
 

Original-Brief von Maurice Bavaud aus seiner Gefangenschaft5. April 1940

Meine Lieben

Dies ist der siebte Brief, den ich Euch seit dem 18. Dezember schreibe. Alle anderen wurden aufgrund ihres Inhalts nicht abgesandt. Ich hoffe, mit diesem Brief wird es nicht gleich verlaufen. Ich habe Eure Post vom 20. Februar bekommen und danke Euch dafür. Ich verstehe Eure Besorgnis, die unglücklicherweise gut begründet ist. Leider! Ich wurde zur Todesstrafe verurteilt aus Gründen, die ich Euch hier nicht mitteilen kann. Deshalb wurde ich ins Gefängnis nach Plötzensee gebracht, wo sich die Guillotine befindet. Die Hinrichtung kann jeden Tag stattfinden - genauso wie sie erlassen werden könnte. Ihr seht also, dass mein Leben nicht mehr viel Wert hat.
Ah! Wenn ich in St. Ilan im Dienste Gottes geblieben wäre! Hätte ich den Schöpfer nicht für die Schöpfung verlassen. Jener, welcher ewig ist für jene, welche vergänglich sind. Derjenige, der das Licht ist für die in der Dunkelheit. Dann wäre ich nicht hier. Wenn ich denn sterben muss am 19. Dezember, weiss ich nicht, ob meine letzten Worte nicht "Verdammt" sein werden anstatt "mein Gott, ich lege meine Seele in Deine Hände".
Ja, ich bin skeptisch geworden. Und das Grab ist für mich, der es negiert, nicht mehr als die schreckliche Leere, von der Pascal spricht. Der Mensch stirbt alleine, das ist etwas, worüber man nachdenken sollte. Auch wenn ich mich wirklich verlassen fühle am Rande dieses Abgrunds, werfe ich einen hoffnungsvollen Blick zur Religion. Aber die Rückkehr zum Evangelium wäre schwierig. Man macht sich nicht ungestraft lustig über die himmlische Gnade, wie ich es seit mehr als einem Jahr getan habe. Also habe ich die Hand Gottes gespürt. Um mich zu bestrafen, hat er mir das Licht genommen, welches die Gerechtigkeit erleuchtet. Schliesslich, da mein Fehler aus Schwäche und Leidenschaft getan wurde und nicht aus schlechtem, hochmütigem Willen, gab Gott den Sieg zurück und auch die Güte und Barmherzigkeit.
Ist es nicht wirklich hart zu sterben aus irdischen Gründen, nachdem ich zuvor mein Leben im Sinne von Jesus Christ geführt habe.
Auch habe ich den Wunsch, wenn ich durch aussergewöhnliche Umstände hier entkomme, zurückzukehren in den geistlichen Orden "St. Esput". Das könnt Ihr sagen. Zu den Elendsten in Afrika, den ärmsten und verlassensten unter den Menschen werde ich meine Schritte leiten. Ich bin angewidert von Politik und Macht. Ah! Wie sind die Armen glücklich in der Demut und Bescheidenheit, die sie umgibt.
Erinnerst Du Dich, Hélène, an "Die Schäferin im Land der Wölfe"? Hier - das Ideal! Hier mangelt es mir zur Zeit nicht an Büchern. Ich habe einen Teil des Werks von Lamartine gelesen. Doch ihre Romantik hat mir missfallen. Ihr vager Christianismus ist nichts als eine durchscheinende Blase auf einem zweifelnden Grund. Vorgestern hat man mir die Bibel gebracht und ich stellte erfreut fest, dass es sich um eine hugenottische Interpretation handelt.
Mein Gesundheitszustand ist nicht zu schlecht, obschon der Winter sehr hart war. Zur Zeit leide ich ein wenig an Bronchitis. Der Gemütszustand ist Gott sei Dank gut.
Da meine Angelegenheit vielleicht rechtliche Folgen haben wird, hier die Adresse meines Verteidigers: Herr Franz Wallau, Landgrafenstrasse 10, Berlin.
Schreibt mir, ich bitte Euch, so schnell und viel wie möglich. Schickt mir auch ein schönes Bild von Christus und eines von seiner Mutter. Ich brauche Trost. Ich umarme Euch zärtlich. Eure Zuneigung fehlt mir sehr.
Maurice.

Der Original-Brief befindet sich im Schweizer Staatsarchiv Bern und wurde für diesen Bericht freundlicherweise zur Verfügung gestellt (Signatur: E2010 (A) 1991/17:549).

12. Mai 1941

Lieber Papa, liebe Mama

Ich las den Beweis von Descartes für die Existenz der Seele, es war acht Uhr, als man mir ankündigte, dass diese Nacht die letzte sein werde, die ich hier unten verbringe. Ich war weit davon entfernt, auf diesen Schlag gefasst zu sein, aber ich habe eine Kaltblütigkeit bewahrt, welche mir Hoffnung gibt bis um sechs Uhr, bis zum Moment, wo mein Kopf fallen wird. Das ist ein furchtbarer Moment, der unerträglich wäre, ohne die Hoffnung auf einen Gott, welcher die Guten belohnt und die Bösen bestraft. Ich sterbe also im Schosse der römisch-katholischen Kirche. Mit Christus verzeihe ich alles, was zu verzeihen ist. Mein Herz empfindet keinen Hass mehr gegen niemanden. Wie schön ist es, zu verzeihen, vor allem in einem solchen Moment. Ich bitte auch meinen Vater im Himmel, meinen Feinden zu verzeihen. Ich selber bitte alle, die mir etwas vor zu werfen haben, um Verzeihung. Mein Herz hat während meines kurzen Lebens keinen dauerhaften Hass gespürt.

ich sterbe nicht stoisch, sondern christlich. Ich umarme Dich, Papa; ich umarme Dich, Mama; und umarme Jean-Pierre, Hélène, Marie-Louise, Colette und Adrien; ich umarme meine lieben Tanten und alle andern Verwandten. Ich umarme Euch fest, ganz fest, denn es ist das letzte Mal. Mein Gott! Ich kann mich Euren Armen nicht entwinden, ich möchte weinen, aber ich kann nicht. Mein  Herz wird explodieren. Jedoch wir werden uns wiedersehen, weil wir eine Seele haben. Ich werde einen kleinen Engel wiederfinden, meine kleine Schwester Marie-Thérèse. Oh! Marie-Thérèse, komm und führe mich in die ewigen Wohnungen. Ihr seht, ich löse mich von den Lebenden und geselle mich zu den Toten. Schlussendlich muss man einmal sterben. Jeder ohne Ausnahme muss diesen Schritt tun. Herr, entlasse deinen Diener in Frieden, wie Du es versprochen hast.

Jetzt werde ich die Sterbesakramente der Kirche empfangen. Der Gefängisseelsorger ist bei mir. Adieu und tausend heilige Küsse.

Mein Vater und meine Mutter, Danke für alles, was ihr seit meiner frühesten Kindheit für mich getan habt. Auf Wiedersehen, im Himmel!

Ich gebe meine Seele in die Hände Gottes zurück.

Euer Kind, Euer Bruder.

Maurice Bavaud 

Der Original-Brief wurde im Dokumentarfilm "Es ist kalt in Brandenburg" gezeigt.